Kurt Bereuter

56, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften. Organisationsberater und -entwickler, freier Journalist und Moderator, betreibt in Alberschwende das Vorholz-Institut für praktische Philosophie.

Landwirtschafts- Strategie Vorarlberg neu – eine Analyse

Juni 2023
Im Mai 2019 wurden Landesrat Christian Gantner die nötigen Unterschriften aus der Bevölkerung zur Abhaltung eines Bürgerrates zum Thema „Zukunft Landwirtschaft“ übergeben. Es war also wieder ein Bürgerrat, der „von unten“, also von Bürgern und Bürgerinnen, initiiert wurde. Ausschlaggebend war eine spürbare Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung mit der landwirtschaftlichen Entwicklung im Land, angefangen vom Rückgang der Zahl der Landwirtschaftsbetriebe auf der einen Seite und der immer größer werdenden und stärker mechanisierten Betrieben auf der anderen Seite, bis hin zu den teils tierschutzwidrigen Kälbertransporten und dem Verlust von wertvollen landwirtschaftlichen Flächen. Durchgeführt wurde dieser Bürgerrat dann im Herbst 2019 und die Ergebnisse sollen nun, laut Begleitschreiben des Landes, in die neue Vorarl­berger Landwirtschaftsstrategie „Landwirt.schafft.Leben“ vom Frühjahr 2023 eingespielt worden sein und eine wertvolle inhaltliche Grundlage bilden. Die Strategie wurde am 8. März des Jahres 2023 einstimmig im Landtag beschlossen. 
No na ned ist die über 50 Seiten dicke Broschüre mit herrlichen und romantischen Bildern teils seitengroß gespickt. Sechs strategische Handlungsfelder mit jeweils fünf Zielen und vier konkreten Maßnahmen wurden definiert, ergibt eine Strategie, sechs Handlungsfelder, 30 Ziele und 120 konkrete Maßnahmen. Die sechs Handlungsfelder sind klug gewählt:
›› Boden, Umwelt, Klima, Biodiversität
›› Tierwohl in der Tierhaltung
›› Stabile regionale Lebensmittel­versorgung
›› Unternehmen Bauernhof
›› Chancenreiche Lebensräume
›› Dialog und Sichtbarkeit
Auch die dazugehörenden Ziele sind hehr und werden auf allgemeine Zustimmung stoßen. 
Bei den konkreten Maßnahmen wird es allerdings schwieriger. Weil sie nicht konkret sind, weil es zum Teil wieder Ziele oder sogar Visionen sind, weil es zum Teil vage Beschreibungen sind und weil es zum Teil gar nicht durch Vorarlberg geleistet werden kann. Nicht konkret beispielsweise, wenn „Landwirtschaftliche Nutztiere … artgerecht gehalten sowie betriebsangepasst gezüchtet“ werden sollen. „Eine optimale Nahversorgung in allen Daseinsfunktionen … ist landesweit verfügbar“, ist eine schöne Vision. Vage bei der Weiterentwicklung eines „Ländle Gütesiegels“ sowohl „für konventionelle als auch für biologische Produkte“ – wofür soll das in der Qualität stehen? Oder was kann Vorarlberg wirklich tun, um die Gemeinsame-Agrarpolitik-Maßnahmen (GAP) der Europäischen Union attraktiv auszurichten? Dennoch sind die nicht konkreten Maßnahmen unterstützenswert, was sie wert sind, kann allerdings erst beurteilt werden, wenn sie konkret geplant und umgesetzt sind: Von der nachhaltigen Bodenbewirtschaftung durch betriebliche Nährstoffkreisläufe über die tierwohlgerechten Transporte und Schlachtungen bis zur Unterstützung von Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung. Aber wie soll das geschehen, wer hat welche Aufgaben oder Kosten zu tragen? 
Konkret wäre es, dass es beim Thema Schlachtung nun eine geplante Lösung beim Gstach-Hof in Rankweil gibt. Auch wenn der Gesellschaftsvertrag noch nicht unterzeichnet ist, die Behördenverfahren noch ausständig sind, soll dort im Spätherbst Baubeginn sein und im Frühjahr wieder ein „Schlachthof“ in Vorarlberg zur Verfügung stehen. Ein Meilenstein wäre die gesetzlich geregelte Hofschlachtung. 
Die Kälbertransporte gehen wohl trotzdem weiter, solange der Preis im Export stimmt, oder bei den inländischen Konsumenten nicht nach oben akzeptiert wird. Die fehlenden Großtierärzte können nicht aus dem Hut gezaubert werden und eine Praxis für Kleintiere oder Pferde ist allemal lukrativer als die Tätigkeit in der kommerziellen Landwirtschaft. 
Dass die Zuchtrichtlinien bei der Brown-Swiss-Rasse für eine bessere Alp­fähigkeit angepasst werden, heißt auf der anderen Seite wohl weniger Milchleistung: Wer soll die abgelten, wenn ein langes Kuhleben schon längst nicht mehr an oberster Stelle steht? 
Dass das AMA Gütesiegel arg in Bedrängnis geraten ist, muss nicht extra erwähnt werden, aber wie ein „Ländle-Gütesiegel“ ausgestaltet und besser kontrolliert werden kann, steht noch in den Sternen, denn die behördlichen Kontrollen sind von den Ressourcen her am Anschlag und/oder zu lax, wie zuletzt beim „Schmuddelhof“ im Bezirk Feldkirch die Tiere zu spüren bekamen. 
Wir (fast) alle wollen möglichst artgerecht gehaltene Tiere auf schönen und sauberen Bauernhöfen mit glücklichen Bauernfamilien, die schonend mit ihren Böden und der Umwelt umgehen und dann gesunde, regionale und hochqualitative Produkte zu einem „guten“ Preis anbieten. Das ist ganz schön viel und das lässt sich das Land, der Bund und die Europäische Union auch richtig viel kosten. Wenn das alles das Ergebnis ist, ist es das wert. Über unser Konsumverhalten sind wir alle Landwirtschaft und das muss uns beim täglichen Einkauf klar sein, in dem uns regionale und fair produzierte Lebensmittel auch mehr wert sind. Dazu ist Transparenz gefordert, was für die Initiatoren des Bürgerrates enorm wichtig war. Tiere auf der Weide oder in offenen Ställen machen das möglich und sind noch keine für jedermann/-frau zu jeder Zeit „Offene Stalltüre“. Ein strategischer Fehler im Sinne einer Stärken-Schwächen-Analyse sei erwähnt: Wie kann und soll mit „Schwarzen Schafen“ umgegangen werden? Denn die verursachen nicht nur Tierleid und Umweltverschmutzung – und sind in der Landwirtschaft bekannt – sondern auch einen schlechten Ruf der ganzen Bauernschaft, und das hat sie sicher nicht verdient. Insofern ist eine verbesserte Kommunikation der Landwirtschaft mit der Gesellschaft und die proaktive Information – wie in der Broschüre genannt – wertvoll und wünschenswert. Das „Dahinter“ muss dann halt stimmen und dazu braucht es die Bereitschaft zur Transparenz und zur wertschätzenden, ehrlichen und offenen Kommunikation, auch von Seiten des Landes und der Landwirtschaftskammer. Entscheidend bleibt das Zitat auf der Innenseite der Broschüre: „Erfolg hat drei Buchstaben: TUN“. Dem großen Goethe zugeschrieben.

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