Martin Rümmele

* 1970 in Hohenems, ist mehrfach ausgezeichneter Gesundheitsbereich- und Wirtschaftsjournalist und Verleger. Er lebt und arbeitet in Wien und Kärnten und ist Autor mehrere kritischer Gesundheitsbücher unter anderem „Zukunft Gesundheit“, „Medizin vom Fließband“ und „Wir denken Gesundheit neu“. 

Der Patient als Mittel zum Zweck

Juli 2015

Es ist das Ceterum censeo aller Gesundheitspolitiker: Der Patient steht im Zentrum aller Bemühungen. Komisch nur, dass der das selten spürt. Vielleicht auch deshalb, weil er zwar im Mittelpunkt, dort aber eigentlich im Weg steht. Das Ziel wird immer mehr, einen Patienten möglichst rasch zu behandeln und dann wieder loszuwerden – wie in einer effizienten Autowerkstatt.

Krankenhäuser sind teuer und sollen billiger werden. Und das machen – wie in vielen anderen Wirtschaftsbereichen – zunehmend Spitalsmanager, die an Wirtschaftsuniversitäten ausgebildet wurden und längst nicht mehr im Medizinbetrieb groß geworden sind. Controller und Consulter übernehmen das Sagen, Krankenhäuser werden zu Wirtschaftsbetrieben und in der Folge zu Konzernen zusammengefasst, um möglichst effizient geführt zu werden. Das Kerngeschäft sei die möglichst optimale Behandlung von Patienten, alles andere sollen Profis übernehmen.

Im Jahr 2008 wurde in Rankweil eine Zentralsterilisation für die Vorarlberger Krankenhausbetriebsgesellschaft (KHBG) eröffnet – ein damals österreichweit einzigartiges Projekt. Anfang 2012 folgte beim Krankenhaus Feldkirch eine Zentralküche. Mit einem Partner werden daraus alle Krankenhäuser beliefert. Das Prinzip ist „cook and chill“, also vorkochen und dann vor Ort fertigmachen. Nun hat die Unternehmensgruppe Wozabal eine Ausschreibung der KHBG gewonnen und übernimmt den gesamten Bereich Wäsche, Berufsbekleidung und OP-Versorgung. Das oberösterreichische Unternehmen hat dazu für sechs Millionen Euro eine neue Wäscherei in Rankweil gebaut. Wozabal sieht sich selbst nicht nur als Marktführer, sondern vor allem als Technologieführer im Bereich Mietwäsche in Österreich und wächst vor allem im Gesundheitsbereich. Das Unternehmen sei mit dem Einsatz der neuesten Generation von RFID-Chips – Ultra High Frequency (UHF) – der absolute Vorreiter in der Branche, sagt Firmenchef Christian Wozabal. „Wir können Kunden eine lückenlose Dokumentation des Wäschemanagements ebenso zur Verfügung stellen wie genaue Statistiken etwa über die Anzahl Waschzyklen oder die exakten Verbrauchsmengen, wodurch automatisch eine bedarfsorientierte Wäschebestellung ausgelöst wird“, erklärt Wozabal. Das wiederum helfe auch, den Energieverbrauch deutlich zu senken. Zuletzt hat das Unternehmen damit auch bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt gepunktet und liefert österreichweit das OP-Abdecksystem für die elf Unfallkrankenhäuser und Reha-Zentren der AUVA.

Für die einen sind solche Entwicklungen ein Segen, für andere – meist Mediziner – ein Fluch. Jedenfalls werden Prozesse gestrafft und nicht selten dann auch Krankenhäuser zusammengelegt. Für ganz Kärnten gibt es etwa nur noch eine Augenambulanz am neuen Klinikum in Klagenfurt, in Wien sollen die städtischen Spitäler an sieben Standorten zusammengeführt werden. Die Versorgung soll so besser werden.
Selbst Patientenanwalt Gerald Bachinger ist überzeugt: „Die Konzentration durch die Bildung von Kompetenzzentren und die Rationalisierung ist aus meiner Sicht durchgehend als positiv zu sehen und führt vor allem zu längst fälligen Qualitätssteigerungen durch höhere Fallzahlen und mehr fachliches Know-how.“ Der einzige Nachteil liege wohl darin, dass längere Wegstrecken für einige Patienten in Kauf zu nehmen seien, „weil es nicht mehr hinter jedem Busch ein Krankenhaus gibt“. Schwerpunktbildung genauso wie Rationalisierung seien heutzutage durchgehende Programme bei jedem Rechtsträger und auch in der aktuellen Gesundheitspolitik. Die neuen Herausforderungen lägen in der notwendigen Priorisierung und in der Erkenntnis, dass ein Mehr an Quantität nicht automatisch ein Mehr an Qualität bedeutet, betont Bachinger.

Auch der Arzt muss sich fügen

Das könnte allerdings dazu führen, dass der Patient, um dessen Behandlung es eigentlich geht, in den Hintergrund rückt. „Wenn ich ein teures Großgerät kaufe, dann muss da alle zehn Minuten ein Fall durchgeschleust werden. Auch der Arzt muss sich, wie in der Industrie, einem Takt einfügen“, postulierte bereits vor einigen Jahren der Gründer und damalige Großaktionär der privaten deutschen Rhön-Kliniken, Eugen Münch.

„Bleibt die Wahrnehmung des Kranken durch den Arzt unvollständig, fragmentiert, oberflächlich oder auf ein hervortretendes Störungssymptom beschränkt, wird die Diagnose unzureichend ausfallen“, konstatierte umgekehrt der deutsche Psychiater Wolfgang Böker bereits 2003. Die Gründe für die getrübte Wahrnehmung liegen nicht selten auch im ökonomischen Bereich und dem wachsenden Spardruck im Gesundheitswesen, betont Gerhard Flenreiss, Gesundheitsexperte und Autor des Buchs „Medizin vom Fließband“. „Der Patient als zuwendungsbedürftiges Individuum rückt in den Hintergrund“, urteilt Flenreiss. Will man als Patient im Gesundheitswesen heute Zuwendung, müsse man dafür extra bezahlen. Keine Versicherung – und vor allem keine öffentliche Krankenversicherung – zahle dem Arzt die Zeit, die er sich für Patienten nehme. Die Folge: Im Durchschnitt unterbricht ein Arzt seinen Patienten nach 18 Sekunden das erste Mal. Eine ärztliche Visite im Krankenhaus dauert im Schnitt drei bis vier Minuten. Dabei ist die Redezeit des Arztes doppelt so lang wie die des Patienten. Das haben Studien gezeigt. Die Folge: Unmittelbar nach dem Arzt-Patienten-Gespräch hat der Patient bereits die Hälfte des Gesagten wieder vergessen. Die Intimität von Arzt und Patient sei auch im niedergelassenen Bereich durch den wachsenden Druck der Kassen zu hinterfragen, sagt der Präsident des Hausärzteverbandes, Christian Euler. „Verloren geht, was die Kultur der Krankenversorgung ausmacht. Das wäre aber für die Heilung und das Wohlfühlen des Patienten nötig.“ Ein wichtiger Teil der Medizin finde so nicht mehr statt.

Vor allem weil schon allein Zuwendung und Gespräch heilen, wie immer wieder Studien belegen. Das weiß auch Michael Heinisch, Vorstand des privaten und zu einer Ordensgruppe gehörenden Krankenhausbetreibers Vinzenz-Gruppe: „Der Mensch ist dem Menschen immer noch die beste Medizin. Im Gesundheitswesen geht es am Ende um Menschlichkeit.“ Er wünscht sich, dass die eingesparten Mittel von den patientenfernen Bereichen direkt zu den Patienten selbst wandern, um ihnen mehr Zuwendung zu bieten.

Die Sache mit der Individualität

Ähnlich argumentiert der Unternehmensberater und ehemalige deutsche Krankenhausmanager Heinz Lohmann und zieht dazu die Industrialisierung heran. Industrialisierung sei heute nicht mehr das, wie man das vor hundert Jahren gesehen habe. Lohmann: „Sie bringt auch Individualität. Früher wurde ein Ford millionenfach als schwarzes Auto produziert, heute gibt es hundert Variationen von Autos, die aber im Kern alle aus den gleichen Bauteilen bestehen.“ Sein Credo deshalb: In den patientenfernen Bereichen brauche es Rationalisierungen, damit man sich dann tatsächlich mehr um den Patienten kümmern könne.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.