Martin Rümmele

* 1970 in Hohenems, ist mehrfach ausgezeichneter Gesundheitsbereich- und Wirtschaftsjournalist und Verleger. Er lebt und arbeitet in Wien und Kärnten und ist Autor mehrere kritischer Gesundheitsbücher unter anderem „Zukunft Gesundheit“, „Medizin vom Fließband“ und „Wir denken Gesundheit neu“. 

Des einen Freud, des anderen Leid

Februar 2015

Das Defizit der Krankenkassen steigt wieder. Dabei galten sie nach Jahren der Reformen als saniert. Ein Blick hinter die Kulissen des Gesundheitssystems zeigt komplexe Verflechtungen, die Lösungen erschweren.

Die Österreicher gehen laut Umfragen mehrheitlich pessimistisch ins neue Jahr. Einer davon ist offenbar Peter McDonald, der neue Vorsitzende im Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Der Kassen-Boss erwartet für 2015 und 2016 wieder rote Zahlen. Die Vorarlberger Gebietskrankenkasse rechnet mit einem Minus von 67 Millionen Euro. Dabei galten die Krankenkassen eigentlich als saniert. Der gebürtige Hohenemser Hans Jörg Schelling (ÖVP) wurde in seiner Funktion als McDonalds Vorgänger als Kassenretter gefeiert und zum Finanzminister befördert. Angesichts der Prognosen aber alles nur ein einmaliger Erfolg? Rückendeckung bekommt der neue Kassen-Chef jedenfalls von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauer (SPÖ). Sie rechnet ihm hoch an, dass er „mit der Vorsicht eines ordentlichen Kaufmanns bedachte Prognosen über die finanzielle Entwicklung der Krankenkassen tätigt“.

Schwierige Bedingungen

Aber wie steht es um die Krankenkassen? Seit der zweiten Jahreshälfte des Vorjahres sind die Kosten für Medikamente um acht Prozent gestiegen, rechnen die Kassen vor. Einer der Gründe sind neue und sehr teure Medikamente. Moderne Krebstherapien etwa kosten oft mehrere zehntausend Euro, ebenso Produkte gegen Rheuma oder Hepatitis C. Dass die Kassen darüber aufschreien, hat aber weniger mit diesen Kosten zu tun als dass damit Druck erzeugt werden soll auf die Pharmaindustrie, um die Preise zu drücken. Gerade die Pharmaindustrie hat viel zur Kassensanierung beigetragen – unfreiwillig. Denn sie bekommt für jedes neue Produkt einen Patentschutz. Damit will man die hohen Entwicklungskosten wieder hereinspielen können, die derzeit angeblich bei eineinhalb Milliarden pro Medikament liegen. Das Patent garantiert ein paar Jahre gute Gewinne, ohne dass ein Konkurrent kommt und die Preise ruiniert. Fällt allerdings dann der Patentschutz, kommen Nachahmer mit sogenannten Generika und drücken den Preis auf ein Minimum. Die Krankenkassen haben das sogar instrumentalisiert mit einem eigenen Preissystem: Je mehr Generika kommen, umso rascher muss der Preis für alle Produkte fallen. Die Summen, um die es international dabei geht, sind enorm. Der Pharmariese Pfizer hat etwa mit seinem Spitzenprodukt „Zortis“ in guten Jahren 14 Milliarden Euro umgesetzt; das waren etwa 20 Prozent des gesamten Konzernumsatzes. Als das Patent ablief, rutschten die Umsätze dramatisch ab.

Ein aktuell größeres Problem

Von solchen Preisverfällen profitierten in den vergangenen Jahren vor allem die Krankenkassen, denn die Pharmabranche hatte sich vertan und konnte nur wenige neue Produkte auf den Markt bringen, die ihre Verluste durch das Ablaufen von Patenten ausgleichen konnten. Die Branche sprach sogar von einer „Patentklippe“. Man fühlte sich, als stehe man vor dem Abgrund. Jetzt schlägt das Pendel mit neuen, teuren Produkten wieder zurück – und bringt damit die Kassen in eine schwierige Situation.

Was so dramatisch klingt, ist es für sich allein aber noch nicht. Immerhin sind die Kassen ja dazu da, neue Produkte zu bezahlen und damit Patienten zu helfen. Sie haben aber aktuell ein weit größeres Problem: Die Einnahmen sinken, weil sich die Gesamtwirtschaft schleppend entwickelt. Das geringe Wirtschaftswachstum und die nicht zuletzt dadurch bedingte steigende Arbeitslosigkeit dämpfen die Einnahmen der Kassen, die ausschließlich an den Löhnen und Gehältern hängen. Dazu kommen regionale Unterschiede: Bundesländer mit einem hohen Einkommensniveau – etwa durch viele Industriearbeitsplätze – tun sich leichter als Länder mit einem hohen Anteil an Pensionisten. So stiegen etwa für die VGKK die Beitragseinnahmen zwischen 1999 und 2013 um 69,5 Prozent. Die WGKK verzeichnet hingegen nur ein Plus von 55,1 Prozent, weil viele Industriearbeitsplätze aus Wien abgezogen worden sind. Zudem wurden den Kassen rund 100.000 Vertragsbedienstete per Gesetz weggenommen und zur Beamtenversicherung verschoben. Die wurde so saniert und hatte ein Beitragsplus von 79,7 Prozent. Einen teilweisen Ausweg könnte hier die von der Regierung angekündigte Steuerreform bringen. Dafür verantwortlich: Hans Jörg Schelling als Finanzminister. Gelingt das nicht, kommen die Krankenkassen sehr rasch in eine dynamische wirtschaftliche Schere: Die Ausgaben steigen, die Einnahmen gehen zurück. Die Folge: Das Defizit explodiert.

Als Ausweg fordern viele eine Zusammenlegung der Krankenkassen, um Kosten zu sparen. Doch deren Verwaltungskosten sind mit 2,5 Prozent schon sehr niedrig. Zentrale Dinge wie die Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie, die gesamte IT, das Referenzspital Hanusch und vieles mehr wurden bereits zusammengelegt oder werden von einer Kasse für alle betrieben. Die Lohnverrechnungen etwa laufen über die Oberösterreichische Kasse, das Referenzspital, mit dem die Kassen einen Überblick über neue Methoden und damit ihre Preise bekommen wollen, wird von der Wiener Kasse geführt.

Vorteil bei Verhandlungen

Was die Zusammenlegung bringen kann, ist lediglich ein Vorteil bei den Honorarverhandlungen mit den Ärzten: Hier hat nämlich jede Fachgruppe in jedem Bundesland eigene Tarife, und die werden auch mit jeder Kasse einzeln ausverhandelt. Die Kassen wollen das seit Jahren vereinheitlichen, doch die Ärzte bremsen. Ihr Argument: Es gäbe regionale Unterschiede, die berücksichtigt werden müssten. Das Gegenargument der Kassen: Eine Ultraschalluntersuchung ist in Linz genauso aufwendig wie in Lustenau.

Einziger Ausweg ist eine Neuorganisation des Gesundheitswesens. Derzeit finanzieren die Länder großteils die Krankenhäuser, die Krankenkassen die niedergelassene Versorgung. Die Folge ist ein teures Patientenkarussell: Die Länder versuchen alles, damit Patienten nicht im Spital, sondern beim niedergelassenen Arzt behandelt werden. Dann kostet es sie nichts. Die Kassen tun das Gleiche umgekehrt. Bringt also ein neues Medikament, das der niedergelassene Arzt verschreibt, einem Patienten Heilung ohne eine teure Operation, kostet das die Kassen und entlastet die Spitäler. Den Kassen ist deshalb eigentlich die Operation lieber. Gelingt es den Kassen aber durch die aktuelle Reform, an Einsparungen der landeseigenen Spitäler zu partizipieren, könnte das höhere Ausgaben für Medikamente mehr als ausgleichen.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.