
Von der Prestige-Pflanze zur versteckten Gefahr
Er ist eine imposante Pflanze: Über drei Meter hoch können die Stängel werden, auf denen die doldenförmigen Blütenstände des Riesen-Bärenklaus sitzen. Die beeindruckende Größe, die prächtigen weißen Blüten und ein Hauch von Exotik verleiteten bereits im 19. Jahrhundert so manchen Adeligen, die Pflanze – nicht zuletzt als Prestigeobjekt – auch in seinem Garten zu präsentieren. Doch inzwischen hat sich die Meinung über den Riesen-Bärenklau grundlegend geändert. Aus dem einstigen Statussymbol ist ein invasiver Neophyt geworden, den es zu bekämpfen gilt.
Wie bei so vielen von Menschenhand verschleppten Arten bleibt die Ausbreitungsgeschichte von Heracleum mantegazzianum (so der wissenschaftliche Name des Riesen-Bärenklaus) im Dunkeln. Einer Anekdote zufolge soll der russische Zar Alexander I. nach dem Wiener Kongress 1815 eine Vase voller Samen an Fürst Metternich übergeben haben. In einer Samenliste der Londoner Kew Gardens von 1817 wiederum scheint er als Heracleum giganteum auf. Und doch wissen wir nicht, was sich wirklich hinter diesen frühen Erwähnungen verbirgt. Denn in der ursprünglichen Heimat, dem Kaukasus, wachsen mehrere riesenwüchsige Bärenklau-Arten. Erst mit seiner wissenschaftlichen Erstbeschreibung wurde der Riesen-Bärenklau fassbar. Und die erfolgte reichlich spät: Politische Wirrnisse hatten die Erforschung des Kaukasus verhindert. Als Folge der Eroberungskriege Russlands und des schwelenden Dauerkonflikts mit dem Osmanenreich galt diese Region für Forschungsreisende lange als zu riskant. 1887 schließlich konnten die Botaniker Carlo Pietro Stefano Sommier und Émile Levier Belegmaterial der Pflanze bergen und nach Europa bringen. 1895 beschrieben sie dann die neue Art. Für den wissenschaftlichen Namen standen zwei Persönlichkeiten Pate: Herakles, der mythologische Held der Antike, verlieh ihr den Gattungsnamen. Der Artbeiname mantegazzianum aber erinnert an den italienischen Neurologen, Physiologen und Anthropologen Paolo Mantegazza, einen Freund, der die beiden auch auf mancher Exkursion begleitete (allerdings nicht in den Kaukasus).
Im 20. Jahrhundert führten andere Überlegungen dazu, dass der Mensch die „Herkulesstaude“ an immer neuen Standorten anpflanzte. Den Imkern wurde sie als Bienenweide empfohlen, dem Wild sollte sie zusätzliche Verstecke bieten. Und man glaubte, mit der Pflanze auch Böschungen stabilisieren zu können. Doch die stabilisierende Wirkung der Wurzeln wurde völlig falsch eingeschätzt. Unter dem dichten Blätterwerk stirbt das bodenschützende Gras ab, und die Erosion kann nun erst recht angreifen.
Eine Kleinigkeit aber hatte man in all den Jahren völlig verdrängt: Die Pflanze ist nicht ganz ungefährlich! Sie produziert Furocumarine – Chemikalien, die zwar nicht unmittelbar zum Leben notwendig sind, die aber die Pflanze vor Bakterien und Pilzen sowie vor Insektenfraß schützen. Für uns Menschen haben sie eine sehr unangenehme Eigenschaft: Sie wirken phototoxisch. Wird der Pflanzensaft dem Sonnenlicht ausgesetzt, so zersetzt die UV-Strahlung die Furocumarine. Die dabei entstehenden Produkte verursachen auf der menschlichen Haut Entzündungen mit schmerzhaften Blasen, die Verbrennungen zweiten Grades entsprechen. Bis zu zwei Tage nach dem Kontakt mit dem Pflanzensaft sind noch Reaktionen möglich. Wochenlang anhaltende, nässende Wunden können folgen, und oft bleiben Narben zurück. Auch Fieber, Schweißausbrüche und Kreislaufschocks werden gelegentlich durch den Kontakt mit der Pflanze ausgelöst. Und manchmal ist nicht einmal eine direkte Berührung notwendig: An heißen Tagen gibt der Riesen-Bärenklau seine Schutz-Chemikalien direkt in die Luft ab. Selbstredend ist es nicht empfehlenswert, diese einzuatmen.
Solange sich Heracleum mantegazzianum in Parks und Gärten unter menschlicher Kontrolle befand, blieb das Risiko überschaubar. Die Bestände (oft nur Einzelpflanzen) konnten eingezäunt, die Besucher vor den Risiken gewarnt werden. Aber der Riesen-Bärenklau wollte nicht in den Parks bleiben: Bis zu 180 Meter können seine Samen vom Wind verweht werden, und bis zu drei Tage lang schwimmen sie auf dem Wasser. Die effizienteste Verbreitung aber erreichen sie durch unbeabsichtigte Verschleppung, sei es mit kontaminiertem Erdreich, sei es im Fell von Tieren. Einmal im Boden konserviert, bleiben die Samen über mehrere Jahre keimfähig. Daher finden wir die „Herkulesstaude“ heute auch in größeren Beständen im freien Gelände, auf Streuwiesen, an Bachufern und Waldrändern.
Dass sich der Riesen-Bärenklau ausschließlich über Samen fortpflanzt und nach der Samenreifung abstirbt, erleichtert seine Bekämpfung, die Wirkungsweise des Pflanzensaftes erschwert sie. Es gilt also zu verhindern, dass neue Samen verbreitet werden. Gelingt es, den Wurzelstock in einer Tiefe von mindestens zehn Zentimeter zu durchtrennen, so bringt dies die Pflanze zum Absterben. Oder aber die Dolden werden kurz vor der Samenreifung entfernt und anschließend verbrannt. Am Komposthaufen haben sie nichts verloren. Beim Abtransport ist darauf zu achten, dass die Samen nicht unbeabsichtigt verstreut werden: Sie können auch in abgeschnittenen Dolden noch nachreifen! Ein einfaches Abmähen der Pflanze hingegen ist wirkungslos: Sie treibt neu aus, erreicht aber nicht mehr ihre auffallende Größe, und wird nun oft übersehen. Selbstredend muss bei allen Arbeiten Schutzkleidung getragen werden. Und selbst beim Ausziehen könnte verspritzter Pflanzensaft auf die Haut gelangen.
Es sind vor allem die massiven gesundheitlichen Gefahren, die den Riesen-Bärenklau zur unerwünschten Pflanze machen. Die Auswirkungen auf die Vegetation erscheinen geringer. Im Schatten der dichten Bestände wird die einheimische Vegetation durch Lichtmangel verdrängt. Den Blütenbesuchern, neben Bienen auch Schwebfliegen und Käfer, aber bietet der Bärenklau reichlich Nahrung. Doch dies genügt nicht, ihn zu dulden.
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