Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Diese merkwürdigen Gestalten

Mai 2020

Soziologe Ulrich Bröckling (61) im Interview über Super- und Alltagshelden.

Sie sagen, dass sich die Soziologie schwer tue mit Helden. Warum eigentlich?

Die Soziologie ist eine Disziplin, die sich eher für kleine Leute als für große Männer interessiert. Soziologen beschäftigen sich mit statistischen Häufigkeitsverteilungen, nicht mit außerordentlichen Individuen. Die Nachfrage nach Helden ist meist Symptom einer Krise. In Zeiten der Verunsicherung sucht man Rettergestalten, welche die Dinge zum Guten wenden. Gleichzeitig haben Helden auch etwas Entlastendes: Wir ehren diejenigen, die Besonderes leisten und sich aufopfern, weil wir heilfroh sind, es selbst nicht tun zu müssen. Suspekt sind mir die Mechanismen der Heldenproduktion noch aus einem anderen Grund: Der Blick zu den Helden geht immer nach oben; das ist schwerlich mit demokratischen Idealen vereinbar. Ich halte mehr von Beziehungen auf Augenhöhe. Helden haben mir zu viel Pathos. Zu viel ausgestreckten Zeigefinger. Zu viel Männlichkeitsausdünstungen.

Sie zitieren in Ihrem Buch Habermas: ‚Wo immer Helden verehrt werden, stellt sich die Frage, wer das braucht – und warum.‘ 

Heldengeschichten wollen die Menschen zu etwas bewegen, ihnen wohnt ein Handlungsappell inne. Von Helden wird besonders dann erzählt, wenn Opfer eingefordert werden. Sie dienen der Mobilmachung. Das kann und soll man hinterfragen. Dasselbe sollte freilich geschehen, wenn Helden vom Sockel gestützt werden. Wem nützt die Demontage? Wer betreibt sie? Und wozu? 

Sie sagen auch, ein schöner Ausdruck, dass Heldenverehrung immer ‚eine Strategie der Selbstverkleinerung‘ sei, wie ist das gemeint?

Zu Helden schaut man auf. Und wer andauernd aufschaut, der fühlt sich klein. Der Historiker Jakob Burkhardt hatte das Ende des 19. Jahrhunderts auf die wunderschöne Formulierung gebracht: ‚Größe ist, was wir nicht sind.‘

Wollen Sie mit ihrem Buch über post­heroische Helden Aufklärung betreiben, gewissermaßen Götterdämmerung? 

Das Wörtchen „postheroisch“ taucht seit einigen Jahren in den unterschiedlichsten Feldern auf. Da ist von postheroischer Kriegführung die Rede, in der Wirtschaft spricht man von postheroischem Management, Pädagogen und Psychologen entdecken postheroische Persönlichkeiten. Man könnte also annehmen, dass in der Gegenwart keine Heldengeschichten mehr erzählt werden, dass es keinen Heldenhunger mehr gibt. Das Gegenteil ist der Fall. In den Kinos sprengt ein Superhelden-Blockbuster nach dem anderen die Kassenrekorde; im politischen Feld, in der Populärkultur, im Sport, überall hört man von Helden, zunehmend auch von Heldinnen. Besonders deutlich zeigt sich das in der aktuellen Corona-Pandemie. Sie hat ihre eigenen Helden hervorgebracht: Ärztinnen, Krankenpfleger, die Kassiererinnen im Supermarkt. Diese Gleichzeitigkeit hat mich interessiert. Was sagt es über unsere Gegenwart aus, wenn sie auf der einen Seite unter das Label des Postheroischen gestellt wird, auf der anderen Seite aber an allen Orten Helden auftauchen?

Und die Antwort darauf?

Das Wörtchen postheroisch ist nicht chronologisch zu verstehen, sondern meint – ähnlich wie beim Verhältnis von Moderne und Postmoderne – ein Brüchigwerden, ein Problematischwerden des Heroischen. Das Postheroische ist keineswegs das, was zeitlich nach dem Heroischen kommt. Es ist vielmehr ein Zustand, in dem es zwar Helden geben mag, aber diese Helden in sich selbst fragwürdig geworden sind. 

Haben Sie dafür ein Beispiel?

James Bond. Wenn sie sich die jüngeren Bond-Filme anschauen, dann sehen sie nicht mehr diese strahlende und in vieler Hinsicht auch stählerne Gestalt des unbesiegbaren Agenten, sondern eine in vielerlei Hinsicht problematische Figur: einen neurotischen Helden mit traumatischer Kindheit, der höchst zweifelhafte Dinge tut. Natürlich werden Genregrenzen eingehalten, und am Schluss wird immer noch die Welt gerettet. Aber die Figur hat sich geändert, sie ist ambivalenter geworden. Ähnliches gilt für die Superhelden, denken Sie an die Batman-Trilogie von Christopher Nolan, deren Protagonist kaum weniger finster ist als sein Gegenspieler Joker.

Hat denn jede Zeit ihre eigenen Helden? Auch ihre eigenen Superhelden?

Ja. Jede Zeit hat ihre Helden, aber auch ihre eigene Form der Heldenkritik.  Das gilt auch für das Superhelden-Genre, das sich seit seinen Anfängen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges fortwährend weiterentwickelt hat. In der damaligen US-amerikanischen Populärkultur hatten die Superhelden die Welt vor Nationalsozialisten oder vor anderen tyrannische Gestalten zu retten, das Genre hatte einen ganz klaren politischen Hintergrund. Im Verlauf ihrer mittlerweile bis zu 80jährigen Geschichte wurden die Figuren und Geschichten laufend an die jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen angepasst. Gleichzeitig sind die Geschichten und Filme komplexer geworden. Es lässt sich etwas regelrecht Paradoxes beobachten.

Das da wäre?

Auf den ersten Blick erscheinen die Superhelden als ungeheuer schlichte Gestalten, dumpfe Haudraufs ohne irgendeine psychologische Komplexität. Sieht man sich allerdings einige der neueren Filme an, dann findet gerade in diesem Genre auch eine Reflexion auf das Problematische des Heldendaseins statt. Die Superheldengeschichten haben eine selbstreflexive Kraft entwickelt. Für die visuelle Präsenz des Heroischen in der Gegenwart besitzen diese Figuren eine geradezu ikonische Bedeutung. Sie müssen nur schauen, wo diese merkwürdigen Gestalten mit ihren Kostümen und Umhängen jenseits der Filme und der Comics mittlerweile überall auftauchen. Wenn man die Menschen heute fragt, welche Helden ihnen spontan einfallen, dann werden die meisten nicht Achill oder Jeanne d‘Arc nennen, sondern eben Superman oder Superwoman. Oder aktuell: die Alltagshelden der Corona-Pandemie. 

Sie schreiben von einem fortdauernden Heldenhunger, der reichlich bedient werde. 

Die Erfahrungen von Verunsicherung und Ohnmacht, die wir alle gerade machen, nähren die Sehnsucht, es möge doch jemanden geben, der das Ganze mit einem Handstreich wieder ins Lot bringt. Wir suchen nach Geschichten über Menschen, die sich einsetzen und das Nötige tun: Ärztinnen, Krankenpfleger, die Kassiererinnen im Supermarkt. Solche Geschichten trösten, ermutigen, aber sie entlasten auch: Wenn man die Helden und Heldinnen auf den Intensivstationen beklatscht, braucht man nicht über fehlende Schutzkleidung zu sprechen. Diejenigen, die jetzt im Krankenhaus Covid19-Patienten betreuen oder täglich eine große Zahl Kunden bedienen, gehen bis an ihre Grenzen – und darüber hinaus. Auch das Risiko, sich selbst mit dem Virus zu infizieren, ist für sie höher als für andere. Sie alle leisten Außerordentliches; ihnen dafür Respekt zu zollen, ist das Mindeste. Aber mit ausreichend Gesichtsmasken und einer angemessenen Bezahlung ist ihnen mehr gedient als mit der Ernennung zum Helden oder zur Heldin des Tages.

Helden machen die Welt einfach, und darin liegt ihr Reiz in einer Welt, die alles andere als einfach ist? Ist es das?

Geschichten, in denen Helden auftauchen, sind immer Geschichten einer Welt, die von Kämpfen und Konflikten durchzogen wird. Eine Welt, die vor allem enorme Opfer verlangt. Aber auch hier werden wir gerade eines Besseren belehrt: Für die Bewältigung der Corona-Pandemie braucht es keine großen Männer und Frauen, sondern ein gut organisiertes Gesundheitssystem, wissenschaftliche Forschung und wirtschaftliche Auffangprogramme. Vor allem aber ist jede und jeder Einzelne gefragt. Dabei ist das, was wir tun sollen, ganz und gar unheroisch: Zuhause bleiben, Abstand halten, Hände waschen, Nieshygiene. 

Helden teilen die Welt. In Gut und Böse. Ist es das, was die Menschen daran fasziniert? Die lichte Gestalt, die zu unterscheiden weiß in einer Welt, die andere, die dunkle, die nur verwirrt?

Helden und Heldengeschichten vereinfachen auch in diesem Sinne, dass sie ein Schwarz-Weiß-Bild zeichnen. Helden treten für das Gute ein. Nur ist das gar nicht immer so eindeutig zu bestimmen. Was für die einen das Richtige ist, ist für die anderen das Falsche oder zumindest problematisch. Und gerade darum sind Heldenfiguren in modernen Gesellschaften ja auch so umstritten. Des einen Held ist des anderen Schurke. Das macht es aus soziologischer Perspektive spannend, sich mit Helden zu beschäftigen: Man kann an ihnen sehr viel über die gesellschaftlichen Konfliktlinien lernen. Nehmen Sie Greta Thunberg oder Donald Trump. Ich möchte diese beiden Figuren nicht gleichsetzen, das sind sie ganz und gar nicht, aber in einem Punkt sind sie zumindest vergleichbar: Beide sind umstritten, beide haben genauso begeisterte Anhänger wie auch entschiedene Verächter und Kritiker. Sie sind ein Spiegel der Spaltungen, welche die Gesellschaft der Gegenwart durchziehen.

Wird an Heldenfiguren eigentlich geschätzt, was man in Gesellschaften ansonsten eher skeptisch sieht, den Non-Konformismus?

Das ist nicht so eindeutig. Lange Zeit verkörperten Heldenfiguren die herrschenden gesellschaftlichen Normen. Sie standen für das, was letztlich allen abverlangt wurde, wenn auch nicht im selben Maße wie den Ausnahmegestalten. Erst in den vergangenen Jahrzehnten begann sich das zu ändern: Die Normabweichung wurde selbst zur sozialen Norm. In neoliberalen Zeiten hieß es plötzlich, man solle kreativ sein, anders sein als die anderen, solle zum Unternehmer seines eigenen Lebens werden und sich als schöpferischer Zerstörer in der Welt bewegen, wie das der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter einmal genannt hat. Der Nonkonformismus hat in den westlichen Gesellschaften eine Umwertung erfahren. Das hat auch andere Heldentypen hervorgebracht: Helden der Zivilcourage: Klimaaktivistinnen, Whistleblower und politische Freiheitskämpfer wie jener anonyme tank man, der sich 1989 auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens allein den vorrückenden Panzern in den Weg stellte. Bezeichnend ist, dass dieser Heroismus nicht länger an Pflichterfüllung und Gefolgschaftstreue gekoppelt wird, die neuen Heldinnen und Helden zeichnen sich vielmehr durch Gehorsamsverweigerung aus. 

Wäre die Welt eigentlich ohne Helden eine bessere?

Bei Andy Warhol hieß es einmal, dass jeder Mensch in der modernen Mediengesellschaft Anspruch auf eine Viertelstunde Ruhm habe. Diese kürzeren Halbwertzeiten gelten auch für Heldengeschichten. Darin steckt etwas Entgiftendes: Wenn Helden nach einer Viertelstunde schon wieder verschwunden sind, dann können sie nicht so viel Unheil anrichten. Ich bin als Soziologe gegenüber Vorstellungen, wie eine Welt idealerweise aussehen könnte oder aussehen sollte, sehr skeptisch. Ich sehe die problematischen Effekte, die von Heldenkulten und Heldenverehrung ausgehen, ich sehe aber auch gerade in diesen Wochen des Ausnahmezustands, dass die Verunsicherungs- und Ohnmachtserfahrungen den Wunsch nach Helden hervortreiben. Und solange dieser Heldenhunger da ist, wird man auch Figuren finden oder erfinden, die diesen Hunger bedienen. Stillen können die Heldenfiguren diesen Hunger allerdings nicht. Helden machen nicht satt, um bei diesem Bild zu bleiben. Wir werden die Helden nicht los, das ist meine These. Vielleicht brauchen wir Helden, aber wenn wir sie brauchen, dann so wie der Junkie den nächsten Schuss – es ist ein Bedürfnis, das gestillt werden muss, aber nichts, was eine Lösung darstellt. Helden sind Problemanzeiger, aber keine Problemlöser. „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“, heißt es bei Brecht.

Sie wollen, um ein Schlusswort zu ziehen, „das Heroische kaputtdenken“. 

Man sollte nicht nur fragen, was die richtigen oder was die falschen Helden sind, man sollte vielmehr die Form des Heroischen selbst problematisieren. Heldengeschichten sind immer große Vereinfachungen. Für Situationen wie die gegenwärtige Pandemie gibt es aber keine einfachen Lösungen. Wer sie verspricht, dem ist zu misstrauen. Wir brauchen Berichte und Geschichten, die genau das ins Bewusstsein rufen und die zugleich zeigen, was jeder einzelne und wir alle zusammen tun können. Das ist es, was Mut machen kann.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Ulrich Bröckling* 1959, ist Professor für Kultursoziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Bröckling studierte Soziologie, Neuere Geschichte und Philo­sophie, akademische Stationen führten ihn an die Universitäten Konstanz, Leipzig und Halle-Wittenberg.

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