Verena Lässer-Kemple

ist die Ökoprofit-Koordinatorin im Amt der Vorarlberger Landesregierung.

Das Märchen von dem einen guten Stoff

Dezember 2021

Verpackung und Kreislaufwirtschaft: Warum wir für die Zukunft individuelle Lösungen und Wissen um Materialien brauchen und „Schwarz-Weiß-Denken“ der falsche Weg ist.

Wenn man dieser Tage vergeblich nach einer Plastik-Tragtasche sucht oder den Cocktail ohne „Plastikröhrle“ serviert bekommt, fällt einem auf, wie schnell sich Dinge ändern können – und wie schnell die EU sein kann. Unter dem Dach Green Deal werden die nächsten Jahre viele solche Regulierungen kommen. Wir haben im Herbst im Ökoprofit-Netzwerk mit Verpackungsspezialisten diskutiert, welche Veränderungen im Verpackungsbereich auf uns zukommen – und welche Verpackungsmaterialien Zukunft haben.

Flucht ins Papier

Aktuell fällt „die Flucht“ aus Kunststoff ins Papier auf. Doch ist das auch bei allen Verpackungen sinnvoll? Zwar wächst Holz, die Basis von Papier, nach und zersetzt sich in freier Natur. Doch was ist mit Lieferengpässen? Oder der Abholzung der Wälder? Aber auch im Wissen um die vielen Schadstoffe aus Druckerfarben im Recyclingkarton und Recyclingpapier hat man bei entsprechenden Lebensmittelverpackungen nicht immer das beste Gefühl. Man sieht: Das Spannungsfeld zwischen Verpackungsmaterial und Lebensmittelsicherheit steht einfachen Lösungen oft im Weg. 

Schutz

Alexander Abbrederis, Geschäftsführer von pratopac, Hersteller von Kartonverpackungen, sagt, dass eine Verpackung in erster Linie das Produkt schützen müsse: vor Licht, vor Feuchtigkeit, vor – beispielsweise – Schadstoffen in Papier: „Bei Papierverpackungen brauchen wir für diese Barrierefunktionen Kunststoff-Schutzschichten. Wenn nicht zu viele Schichten aufgetragen werden, können diese im Recycling auch wieder abgelöst werden.“ Manche Verpackungen sind also in reinem Kunststoff sinnvoller, da sie einfacher zu recyceln und dementsprechend auch weniger Energie- und Ressourcen-intensiv sind. Zumal schlechte Verpackungen auch die Lebensmittelverschwendung befeuern. 

Das Märchen von dem einen guten Stoff

Obwohl ihn die Nachfrage nach Papier-Verpackungen freut, sagt Abbrederis, dass die aktuelle Flucht ins Papier „dennoch kritisch zu hinterfragen“ sei. Man müsse aufpassen, nicht einzelne Materialien – wie etwa Kunststoff – zu verteufeln und andere zu idealisieren. Es gebe nicht den einen guten Stoff. Je nach Einsatzbereich seien sinnvolle Lösungen zu suchen, aber eines müsse man wissen: „Bei vielen Funktionen gibt es keine Alternative zum Kunststoff. Das Problem beim Kunststoff ist vor allem ein Logistik- beziehungsweise Verhaltensproblem, das dazu führt, dass Kunststoffe in der Natur landen und sich dort lange nicht zersetzen.“ 

Verpackungen einen Wert geben

Welche Agenda hat die EU als zentraler Treiber für Kreislaufwirtschaft beim Kunststoff? Klares Ziel ist, das Kunststoff-Recycling voranzutreiben: Bis 2025 müssen PET-Flaschen einen 25-prozentigen Recyclinganteil enthalten. Auch der Anteil schwer recyclebarer Kunststoffe in Produkten darf ab 2025 maximal noch fünf Prozent betragen. Das sind vielfach sogenannte „Barrierestoffe“, die für den Produktschutz (Haltbarkeit, Lebensmittelsicherheit etc.) verantwortlich sind. „Das ist eine große Herausforderung für die Verpackungsbranche“, sagt Josef Matt von Giko. Ähnlich herausfordernd werden Quoten für Recycling bei Polymeren sein. Das betrifft alle geläufigen Verpackungen: von der Shampoo-Flasche bis zur Folie für den Käse. „Recyceltes Material kämpft hier mit Gerüchen und sehr eingeschränkten Farbmöglichkeiten“, beschreibt Matt die Herausforderung. „Wenn die Sammlung noch spezifischer wird, nach Kunststoffart und Farbe, könnten die Recyclinganteile erhöht werden. Dazu werden Kennzeichnungen für eine solche Trennung kommen“ weiß Karl Hagspiel von Alpla. Auch er plädiert für Pfandsysteme: „Verpackung muss einen Wert bekommen, damit das Material in die Recyclingströme kommt.“

Zukunftsmaterialien

Wie steht es um bioabbaubare und bio-basierte Kunststoffe? Einig ist man sich, dass biobasierte Kunststoffe nicht in Konkurrenz mit Nahrungsmitteln treten dürfen. Daher sind sie nur sinnvoll, wenn sie aus Abfallmaterial von Pflanzen hergestellt werden. Bei den biologisch abbaubaren Kunststoffen ist Matt optimistisch: „Diese Materialien sind zwar noch teuer, haben aber durchaus gute Verpackungseigenschaften.“ Matt sieht auch ein großes Potenzial für „re-oil“, einem Verfahren in Entwicklung, bei dem aus Kunststoffabfällen wieder Rohöl gewonnen wird: „Hier hat man nicht die Geruchs- und Farbprobleme wie beim Recycling von Polymeren.“

Offenheit

Die Erkenntnis aus der Verpackungsdiskussion zeigt jedenfalls, dass – wie in so vielen anderen Bereichen auch – keine Schwarz-Weiß-Lösungen, keine Entweder-oder-Diskussionen zum Ziel führen, sondern für die jeweiligen Szenarien eine möglichst gute Lösung gefunden werden muss. Entsprechende innerbetriebliche Analyse, Kommunikation mit den Kunden, Wissen über Materialien, ihre Funktionen und Recyclingfähigkeiten auf das jeweilige Szenario sind der Schlüssel zu sinnvollen Lösungen. Jedenfalls sollte man nicht unüberlegt auf einen Trend aufspringen. Denn nicht zu Ende gedachte Lösungen bringen oft nur neue Probleme. Vor allem wenn sie „viral“ gehen und alle plötzlich unüberlegt das Gleiche tun. Dann können ganze Systeme kippen. Resilienz wird vielfach durch Diversität erreicht. Es gilt, technologische Möglichkeiten ständig im Auge zu behalten. Durch den Druck der Vorgaben wird es die nächsten Jahre viele neue Lösungen geben. Für die sollte man offen sein.

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