
Was Anreize leisten können
Eigenverantwortung einerseits und mehr Kostenbewusstsein andererseits sollen helfen, die Gesundheit der Menschen zu verbessern, und gleichzeitig das Gesundheitssystem finanziell entlasten. Manche Parteien denken auch laut über Bonusmodelle nach, andere immer wieder über Selbstbehalte. Zwischen Traum und Wirklichkeit klafft aber eine große Lücke.
Gesundheitspolitiker und viele Experten raten uns, verstärkt Eigenverantwortung zu tragen und verstärkt auf die eigene Gesundheit zu achten. Übergewicht, Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen massiv zu. Wir hören, dass wir weniger essen und uns mehr bewegen sollen. Eine einfache Formel: Wer auf seine Gesundheit achtet, tut sich selbst Gutes und entlastet das Gesundheitswesen und damit die Solidargemeinschaft. Der Umkehrschluss taucht immer wieder in gesundheitspolitischen Debatten auf: Wer nicht auf seine Gesundheit achtet, soll dafür auch zur Kasse gebeten werden – etwa mit Selbstbehalten. Oder aber man versucht, wie aktuell die ÖVP überlegt, Bonussysteme zu schaffen, die gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen – etwa durch eine Senkung der Beitragssätze in der Krankenversicherung.
Tatsächlich liegt der Privatanteil an der Finanzierung des heimischen Gesundheitswesens aber bereits bei knapp 24 Prozent. Von den 32,6 Milliarden Euro, die in Österreich jährlich für die Gesundheitsversorgung ausgegeben werden, kommen 7,7 Milliarden aus den privaten Taschen – über Zahlungen an private Zusatzversicherungen, über klassische Selbstbehalte oder durch Kostenbeteiligungen wie etwa die Rezeptgebühr, weil nicht alle Leistungen von der Krankenversicherung bezahlt werden. Und weil immer mehr Menschen zu sogenannten Wahlärzten ohne Kassenvertrag gehen. Bei diesen refundieren die Krankenkassen gerade einmal 80 Prozent der Kosten – allerdings jener des üblichen Kassenarzttarifs. Verlangt ein Privatarzt mehr, ist der Selbstbehalt noch höher.
Auch bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse zeigt sich, dass die Selbstbeteiligungen der Versicherten im Jahr 2013 bereits bei 16,6 Millionen Euro lagen und damit beinahe vier Prozent der Erträge ausmachten. Nicht eingerechnet sind dabei die Leistungen, die die Menschen direkt aus der eigenen Tasche bezahlen, weil die Kosten nicht erstattet werden, wie etwa im Zahnbehandlungsbereich.
Angesichts der bereits bestehenden Selbstbeteiligungen stellt sich die Frage, warum die Menschen sich dennoch wenig bewegen, ungesund ernähren und rauchen, obwohl sie wissen, dass sie damit die Gesundheit schädigen? Sind viele zu verantwortungslosen, egoistischen
Individuen geworden, die sich denken, dass sie im Krankheitsfall durch eine Krankenversicherung ohnehin abgesichert sind und die Medizin längst alles heilen kann?
Der Lebensmittelkonzern Nestlé hat vor einigen Jahren eine Studie durchführen lassen, die zum Ergebnis kam, dass sich 85 Prozent der Menschen anders ernähren, als sie eigentlich wollen. Die Amerikaner gelten als Paradebeispiel, wohin uns fetthaltige, süße Nahrungsmittel, die extrem kalorienreich sind, führen können. Die Bilder übergewichtiger Amerikaner müssen oft als Beispiel herhalten für die Folgen von falscher Ernährung und Bewegungsmangel. Österreich ist allerdings auf dem besten Weg, den USA den Rang abzulaufen. In einem von der OECD erstellten Vergleich der Kalorienzufuhr führen die Österreicher mit 3819 Kilokalorien pro Kopf und Tag vor den US-Amerikanern. Tatsächlich sind mehr und mehr Menschen verunsichert, was nun wirklich – noch – gesund ist. Der Großteil unserer Lebensmittel – selbst biologische – wird industriell hergestellt und verarbeitet. Wir ernähren uns – ohne es wissen zu können – nicht anders als vorher, aber mit Lebensmitteln, die enorm energiedicht, sprich kalorienreich sind – gespickt mit Zucker und Aromen, die den Botenstoffen im Gehirn befehlen, uns weiteressen zu lassen.
Andere Dinge, die sich nur zum Teil vom Einzelnen beeinflussen lassen, sind Umweltverschmutzung, Stress am Arbeitsplatz und das Einkommen, das nachweislich einen Einfluss auf die Gesundheit hat.
Das stellt die Wirksamkeit von Selbstbeteiligungen zumindest infrage. Deutlicher wird es aber im internationalen Vergleich: Mit einem Gesamtanteil von 24 Prozent liegt das österreichische System im Spitzenfeld der industrialisierten Staaten der OECD hinter den USA, der Schweiz und den Niederlanden. Das sind aber jene Länder mit den höchsten Gesundheitsausgaben. Dabei sollen Selbstbehalte gerade diese senken. Bei genauer Betrachtung zeigt sich zudem, dass in Ländern, in denen die Bürger einen Großteil der Gesundheitskosten selbst bezahlen müssen, die Bürger stärker verarmen. Und im Krankheitsfall später zum Arzt gehen, was in der Folge die Kosten sogar steigen lässt. In der reichen Schweiz kommt pro Jahr etwa eine von 200 Familien durch Krankheit in finanzielle Not.
Zahlreiche Studien zeigen, dass Selbstbehalte nur dann eine Wirkung haben, wenn sie in Relation zum Einkommen spürbar sind. Damit wirken Selbstbeteiligungen aber gerade für einkommensschwache Personen als Zugangsbarriere zum Gesundheitssystem, heißt es in einer Untersuchung der Krankenkassen. Dazu kommt, dass Selbstbehalte dann greifen, wenn man krank ist. Und das sind statistisch gesehen meist ältere Menschen. Demnach zahlen in Österreich Patienten der Altersklasse 71 bis 80 Jahre je nach Leistungsart bereits bis zu 40 Prozent der Kosten selbst. In der Altersklasse 41 bis 50 liegen die Spitzenwerte bei maximal 20 Prozent. Der Spitzenwert für Selbstbehalte betrug demnach laut einer Kassenstudie bei einem hochbetagten Menschen 2380 Euro pro Jahr.
Nicht zuletzt deshalb fordert die OECD sogar seit Jahren auch den Abbau finanzieller Zugangsbarrieren zum Gesundheitswesen – also den Abbau von Selbstbeteiligungen. Groß angelegte Studien aus den USA und Kanada zeigen darüber hinaus, dass Selbstbehalte bei ärmeren Menschen auch zu einem höheren Sterblichkeitsrisiko führen.
Durchaus Erfolge zeigen hingegen Bonusmodelle. Das Bekannteste ist der Mutter-Kind-Pass, in dem die verschiedensten Untersuchungen vorgeschrieben sind. Kinderbetreuungsgeld gibt es nur, wenn eine bestimmte Zahl von Untersuchungen tatsächlich gemacht wird. Auch die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft hat Bonusmodelle mit Erfolg eingeführt. Wer mit seinem Arzt ein Programm zur Verbesserung der eigenen Gesundheit startet – etwa mit dem Ziel, mit dem Rauchen aufzuhören oder abzunehmen –, kann den dort geltenden Selbstbehalt von 20 Prozent halbieren.
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